Ein Bericht von Marcel Dünner
Die Vorbereitung
Da ich noch nie im Tessin geflogen bin und meine Alpen-Erfahrung für eine SM-Teilnahme zu wünschen übrig lässt (ca. 300h), hatte ich beschlossen, am ersten Ambri-Lager im April teilzunehmen. Die erste Woche brachte eigentlich nur einen guten Tag, an dem wir (Heubi und ich) das nördliche Tessin erkunden konnten. Da war die zweite Woche dann schon anders: Von Tag zu Tag besser und in vier Flügen konnte ich mir fast alle Rennstrecken vom Nufenen bis nach Bormio gründlich erfliegen.
Was noch fehlte war die nähere Umgebung um Locarno selber, vor allem Richtung Westen, also Centovalli und Domodossola. Dieses Gebiet war im April wegen tiefer Basis und schlechter Sicht nie sehr verlockend. Deshalb nutzte ich die offiziellen Trainingstage vom 10. bis 12. Mai unmittelbar vor SM-Beginn mit Manfred Hahn (Birrfeld) zusammen für Flüge von Locarno aus. Allerdings hielten uns tiefe Basis, meist schwache Steigwerte und Ausbreitungen innerhalb der Kantonsgrenzen. Im Vergleich zum Rest Mitteleuropas, von wo uns regelrechte Sintflutmeldungen erreichten, war es aber wunderschön.
Die SM
Eröffnugsbriefing am Mittwochabend, 12.05. Der Zweck dieses „Eröffnungsbriefings“ blieb uns schleierhaft. Kein Wort zur Platzorganisation, nichts über An- und Abflugverfahren, nicht einmal ein Piloten-Apell. Na ja, Hauptsache die SM wurde offiziell eröffnet.
Erster Wertungstag 13.05.:
Aufgabe: Abflug Monti di Dito – Masera – San Vittore – Intragna – Kloster Claro – Locarno, 182km. Die kürzeste Aufgabe der SM, trotzdem recht ähnlich zu den anderen Aufgaben. Ausser am zweiten Tag (Cats Cradle) fliegen wir stets Aufgaben um mindestens drei Wendepunkte, wobei der erste Wendepunkt immer in der Gegend von Domodossola liegt und der letzte meistens nordöstlich des Platzes.
Ebenfalls typisch ist die stark unterschiedliche Basishöhe am Abflugpunkt und im hinteren Teil von Verzasca- und Maggiatal. An den Abflugpunkten (immer erste Krete nördlich der Magadino-Ebene) liegt die Basis jeweils zwischen 1900m und 2300m, 15km weiter nördlich hingegen zwischen 2500m und 3200m! Allerdings ist es nicht immer einfach, den Anschluss an die höheren Wolken zu finden. 700 oder 800m Höhe ist aber ein grosser Unterschied, den es zu nutzen gilt – nicht allen gelingt dies. Mit Unterstützung von Wellen konnte der Unterschied sogar noch vergrössert werden, wie die Gebrüder Frei gleich an diesem ersten Tag beweisen.
Bald nach dem Start muss ich bereits ums obenbleiben kämpfen, aber nach einem Tiefpunkt auf 1200m gelingt doch noch ein Abflug auf 2900m etwa 8 km nördlich des Abflugpunktes. Die Gebrüder Frei, wie wir am Abend erfahren, sind zu dieser Zeit auf etwa 3800m!
Erster Schenkel 46km
Der Flugweg ist einigermassen vorgegeben, die Cumuli sind gross, ziemlich zerzaust und stehen schön aufgereiht auf der Nordseite des Centovalli. Zwischen den Aufwinden geht es aber zünftig bergab. Wegen der schon erwähnten grossen Höhenunterschiede und der 20km breiten Abfluglinie bilden sich nur kleine Gruppen von drei bis sechs Flugzeugen. Auch das ist typisch für alle Flüge dieser SM.
Ich kreise nur zwei Mal in etwas mehr als einem Meter und erreiche Masera trotz Gegenwind mit 109km/h, allerdings 800m tiefer als an der Startlinie. Nicht tragisch, denn die Basis ist hier sowieso nur noch auf 2400m. Das hat psychologisch eine ganz andere Wirkung, als wenn die Basis auch hier auf 3000m wäre!
Zweiter Schenkel (62km)
Mit 110km/h: gleicher Weg zurück, denn eigentlich war es ja gut, ich habe nur die Schläuche nicht richtig erwischt. Das dumme ist nur, auf dem Rückweg geht es mir nicht anders, und dazu steigt jetzt die Basis natürlich wieder an. Schon bald muss ich die Idee endgültig aufgeben, über das Relief nach San Vittore zu gelangen. Also alles unten durch, der Magadino-Ebene entlang. Die Aufwinde werden einfach nicht mehr besser. Lange glaube ich das aber nicht, denn es sieht eigentlich immer noch gut aus. So gleite ich grosse Strecken und kreise nur ab und zu in den vermeintlichen, erlösenden Zweimeter ein, der sich stets als Niete (0.5 bis 1m/s) erweist. San Vittore erreiche ich schliesslich auf 1540m, also nochmals etwa 600m tiefer als Masera. Diese Höhe gefällt mir nun endgültig nicht mehr. Ich habe ja heute schon einmal erfahren, dass der Hang nördlich der Magadino-Ebene unter 1400m nicht gerade hämmert. Doch ich habe Glück und treffe genau am Wendepunkt auf 1.2m/s. Wegen dem herrschenden Südwestwind ist aber ein allzu langes Kreisen natürlich ungünstig, verlängert doch jeder Kreis den nächsten Schenkel um etwa 150m. Deshalb fliege ich bereits auf 1640m wieder Richtung Intragna, welches kurz nach dem Eingang des Centovalli liegt.
3. Schenkel (31km) mit 63km/h
Meine Befürchtungen wegen der gringen Höhe am Hang bestätigen sich zumindest teilweise. Der Hang trägt zwar mehr oder weniger auf der ganzen Länge, da und dort mache ich ein paar Meter gut, aber so richtig rauf geht’s eben auch nicht. So komme ich dann bei Tenero auf 1350m an und muss mich mit mühsamen und ungleichmässigen 0.5 bis 1m hocharbeiten. Erst ab etwa 1600m wird es besser und auf 1900m fliege ich weiter und fühle mich wieder etwas wohler. Weiter get’s zur Cimetta (oberhalb Ascona), die bringt aber erstaunlicherweise nichts.
4. Schenkel (27km) mit 104km/h
Intragna nehme ich auf 1600m und fliege trotz der Enttäuschung von vorhin nochmals zur Cimetta (liegt sowieso am Weg). Tatsächlich kann ich dort 150m machen. Noch knapp 40km ins Ziel, ich bin auf 1550m. Wie stark wird das Lee zwischen Claro und Bellinzona wohl sein? Stimmt meine Annahme von 3km Umweg um die Ecke bei Bellinzona? Ach was, ich bin ähnlich hoch (oder tief) wie vor zwanzig Minuten, der Hang wird etwa gleich sein wie zuvor. Und jetzt weiss ich viel genauer, wo die besten Ecken sind. Also steuere ich diese gezielt an und siehe da: die gleiche Strecke, für die ich auf dem Weg nach Intragna 12 Minute gebraucht hatte, durchfliege ich jetzt in 5 Minuten. Und das fast ohne Höhenverlust, notabene. Nun ist die Sache geritzt, noch 21km, ich bin auf 1450m.
5. Schenkel (16km) mit 151km/h
Die befürchtete Leewirkung bleibt fast ganz aus, und so kann ich mich von Bellinzona her schon auf eine schnelle Direktlandung vorbereiten.
Dass das nicht immer so ist, werden wir am dritten Wertungstag deutlich erfahren.
Die Rangliste des ersten Tages bringt dann vor allem eines an den Tag: Die meisten anderen kochen auch nur mit Wasser: Rang 8 von 21 für mich mit einem Schnitt von 98.9km/h. Werner Baumann als Alpenspezialist erfliegt 98.1km/h. Tagessieg für Thomas und Daniel Frei mit 117.7km/h. 100m mehr Abflughöhe ergibt an diesem Tag einen 1 bis 2km/h höheren Schnitt.
Zweiter Wertungstag 15.05.
Heute gelangt ein neuer Aufgabentyp zur Austragung: Die Distanzaufgabe (Cats Cradle). Hierbei gilt es, in der vorgegeben Zeit (in unserem Fall 3 Stunden und 45 Minuten) möglichst weit zu fliegen. Wir haben 22(!) Wendepunkte zur Auswahl, jeder darf beliebig oft in beliebiger Reihenfolge umrundet werden. Man muss nicht auf dem Flugplatz landen, der letzte Logger-Fix vor Ablauf der 225 Minuten gilt als Endpunkt.
Als letzter Pilot der Standardklasse habe ich ziemlich Pech. Eine Abdeckung zieht sehr schnell von Westen her über den Klinkraum. Als ich klinke, ist dort von Thermik nur noch ein leichtes Blubbern zu spüren; auch die nachfolgenden Rennklässler bekunden Mühe. Als ich auf 1300m abgesunken bin, geht die Starlinie auf. Ich kämpfe noch etwa zehn Minuten lang am Hang, doch es ist zwecklos. Aus 1100m melde ich mich bei Angelica für die Landung an. Kurz vor und nach mir landen auch zwei Drittel der Rennklasse.
Das Wetter wird im Verlauf der nächsten Stunde noch etwas schlechter, und nur dank der neuen Ausgangshöhe gelingt es mir, mich Richtung Centovalli abzusetzen, wo zwischendurch noch die Sonne scheint. Der Rest des Feldes ist natürlich schon über alle Berge. Langsam aber sicher komme ich bis nach Masera und von dort nach Bosco Gurin, zuhinterst im Maggiatal. Dort geht es unter schwarzen Wolken bis auf 3000m. Nun ist die Sonne endgültig weg und für die nächste Stunde heisst es einfach, sich in der Luft zu halten. Bei Biasca treffe ich einen Teil der Standardklasse. Die müssen aber woanders her gekommen sein. Die werden in der Zeit, in der ich am Boden war, doch ein paar Wendepunkte geholt haben? Nach Biasca ein scheuer Versuch, die Leventina hinauf nach Ambri zu fliegen, aber schon nach ein paar Kilometern drehen wir wieder um und kehren in den sicheren 0.3m-Schlauch bei Biasca zurück und dort wieder auf 2400m.
Die nächste halbe Stunde verbringe ich bei San Vittore, nördlich des Flugplatzes in einem besseren Nullschieber, unternehme einen Ausflug Richtung Mesocco, den ich aber fast so schnell wieder abbreche, wie den Versuch mit Ambri. Zwischendurch kommen noch die Freis, Manfred und Mark Käppeli vorbei. Zu fünft bilden wir einen richtigen LS-8-Pulk. Wir sind auf 1600m, ich bleibe, Mark ist nach Hause, die anderen fliegen tatsächlich nach Mesocco und zurück. Anscheinend sei es nicht sehr gemütlich gewesen. Na ja, die müssen selber wissen, was sie tun. Unterdessen läuft die Zeit der meisten anderen Teilnehmer ab, ich habe aber noch eine Stunde zu fliegen. Aber mit Null bis 0.2m/s Steigen kommt man auch nicht weit!
Und dann geschieht es: en Chlapf und en blaue Himmel – und 0.3…0.6…1…1.1m/s Steigen bis auf 2200m! Ich habe noch 50 Minuten Zeit. Los! Nordwestlich von Bellinzona: 1.5m/s auf 2500m, ab über den Starpunkt Monti di Dito nach Intragna und wieder zurück in den gleichen Schlauch. Ich rechne mir mit Unterstützung vom Boden aus, dass es eigentlich noch fast via San Vittore und Biasca nach Hause reichen müsste. Das tut es dann zwar nicht ganz, denn nach 225 Minuten bin ich noch etwa 14km von Locarno weg, aber so hoch, dass es gerade noch reicht.
Dank der letzten Stunde Tagesrang 9 mit 203.6km. Tagessieg Werni Baumann mit 321.6km, Frei/Frei Rang 5 mit 233.6km.
Dritter Wertungstag 16.05.
Aufgabe: Monti Di Dito – Gondo (Nähe Simplonpass) – Teglio (Veltlin) – Biasca – Locarno, 317km
Endlich ins Veltlin! Die Hauptsache vorweg: kein Heldentag für Dünner und Hahn: 0 Punkte wegen ungültigem Abflug! Und das kam so:
Die Startlinie liegt bekanntlich 90° zum ersten Schenkel (heute: 269°) und ist links und rechts des Abflugpunktes je 10km lang. Man braucht sich also einfach den Kurs zum Abflugpunkt zu merken, hinter den man fliegen muss, um sich hinter der Starlinie zu befinden. Und das sind: Erster Schenkel +/- 90°, heute also 179° bis 359°. Da die Basis m Norden sowieso immer höher ist, interessiert uns eigentlich nur der Kurs von Norden her, also 169°. Manfred weiss sogar noch, dass er sich das aufgeschrieben hat. Und weil er das weiss, schaut er nicht mehr nach. Ich habe es mir zwar nicht aufgeschrieben, weiss es aber trotzdem. Kann man sich ja merken: 169° ist ja fast Nord-Süd. Und so flogen wir gemeinsam, ohne uns abzusprechen, in der Überzeugung, auf 2800m einen genialen Abflug erwischt zu haben, folgendes Desaster:
Glücklicherweise wussten wir das nicht, das hätte uns ja den ganzen Flug versaut. Wäre ja schade gewesen.
Mir läuft es bis Gondo recht gut, ich kann Manfred und den Freis sogar fast fünf Minuten abknöpfen. Also den gleichen Weg nördlich des Centovalli zurück, um dann gegen die steigende Basis (3200m) ins höhere Relief Richtung Claro und Jorio-Pass zu fliegen. Leider verhindern die zu hohen Kreten des Maggia- und Verzascatals, sowie meine Unfähigkeit, einen guten Schlauch zu finden, dieses Vorhaben und ich muss klein und hässlich vorne in die Ebene rausschlüpfen. Die Basis und ich sind jetzt auf 1800m! Schon wieder.
Jetzt, wo ich schon mal da bin, führt der kürzeste Weg ins Veltlin über den Ceneri Richtung Comersee. Die Basis sieht zwar noch tiefer aus (es täuscht nicht), aber die Cumuli machen wenigstens einen gesunden Eindruck. Recht problemlos mit Steigwerten um 1.5m/s geht es auch bis über den Lago di Como. Besorgniserregend ist nur meine Höhe: auf 1300m erreiche ich den Fuss des Mte. Legnone. Ein paar hundert Meter kann ich machen, gerade genug, um auf die Nordseite des Addatals zu wechseln und dort wieder auf 1300m anzufangen. Nach insgesamt 40 Minuten Krebserei bin ich endlich wieder auf 2000m, und von jetzt an geht’s rund. Die ganzen 45km das Veltlin hinauf und wieder zurück fliege ich McReady 2 und bin 45 Minuten später schliesslich auf 2600m wieder am Talausgang. Nur 2600! Ich hatte auf mehr gehofft, denn der Jorio-Pass ist 2014m hoch und 20km weit weg.
Vom Tessin her breiten sich grosse Wolken nach Osten aus, westlich des Comersees hat es keine Sonne mehr. Ich fliege los, denn ein letztes Cumuli auf der anderen Talseite lässt mich hoffen. Tatsächlich bringt es über einen Meter. Der Jorio ist aber in Wolken, ich kann nicht auf die andere Seite sehen. Der nächste mir bekannte Übergang ist am Forcola, 5km weiter nördlich. Der Versuch misslingt, ich muss einige hundert Meter vor dem Pass abdrehen und zurück in meinen Schlauch. Jetzt bringt er allerdings nur noch einen halben Meter. Dafür bildet sich ganz in der Nähe eine Lücke in den Wolken und ich kann einen Durchschlupf ins Tessin erkennen. Ich bin auf 2300m, nichts wie rüber!
Erleichtert melde ich mich bei Angelica. Auch Manfred gibt Antwort. Er rät mir, mit sehr viel Höhenreserve von Biasca nach Locarno zu fliegen, es saufe wahnsinnig. Das sei allerdings schon über eine Stunde her, vielleicht sei es jetzt anders. Ja, ja, ich weiss, dass ich langsam bin! denke ich. Ach ja, sagt er dann noch, er stehe übrigens drei Kilometer vor dem Platz im Acker! Gemeinsam mit Klaus Lemble. Oha!
Also Vorsicht. Bis Biasca bleibe ich hoch über dem Gleitpfad, doch das Vario hat mir auf den letzten Kilometern gar nicht gefallen. Ich fliege in Talmitte Richtung Bellinzona, und vorerst ist die Linie gut, ab Kilometer 20 wird’s aber bös: drei bis vier Meter Sinken – ich fasse San Vittore ins Auge – nein, reicht nicht – rüber auf die Nordseite von Bellinzona – auf 480m an den Hang – Vario null – etwas weiter – nullfünf – nullacht – nulldrei – wenden, das Ganze zwei mal hin und her – 540m, fertig – also etwas weiter, die Bäume biegen sich, da muss einfach mehr sein – tatsächlich jetzt wieder nullfünf – einskommazwei – immer noch ein Meter – und ganz schön ruhig – also hier bleiben.
Nach bangen Minuten riskiere ich gar nichts mehr und steige auf 1100m – 12km vor dem Ziel. Wenigstens war der Überflug dann auch schön. Jedenfalls schöner als die null Punkte für fünf Stunden Arbeit.
Tagessieg für Marco Gavazzi mit 99km/h.
Die Pause
Am Montag Morgen sehen die Meteorologen eine klassisch Südstaulage voraus, weshalb das nächste Briefing gleich auf Donnerstag verschoben wird. Einige verkürzen sich die Pause mit Föhnflügen auf der Alpennordseite. Angelica und ich fahren nach Hause und richten unsere neue Wohnung (endlich!) noch fertig ein.
Vierter Wertungstag 21.05.
Aufgabe: Medeglia (Nähe Isone) – Piedimulera (südl. Domodossola) – Biasca – Gondo -Locarno, 244km
Nordföhntendenz wird angesagt, und tatsächlich hat es im Klinkraum wellenähnliche Aufwinde, allerdings kann man die Basis von 6-7/8 Cu auf 2900m nicht übersteigen. Also Abflug auf 2900m. Diesmal geht die Strecke der Südseite des Centovalli entlang. Die Thermik ist vorhanden, aber dermassen turbulent, dass sich kaum darin kreisen lässt. Na, dann kreisen wir eben nicht! Immer geradeaus trägt es eigentlich gut genug, so dass wir (ein aussergewöhnlich grosser Pulk von sieben Flugzeugen) auf 2000m den letzten Berg des Centovalli (dort heisst es zwar Valle Vigezzo, aber egal) ankommen. Schon von weitem konnte man dort die Rennklasse in allen Höhen sehen. Auch bei uns klappt das wunderbar, rund 1.5m/s ruhiges Steigen auf 3000m. Wende holen und zurück. Wieder in die Welle, jetzt finde ich etwas gegen den Wind versetzt bis über 2m/s. Bei 3500m steigt es immer noch mit einem Meter. Eigentlich müsste man jetzt weiter, denn der Wind nimmt stetig zu und der Weg nach Biasca weist eine kräftige Gegenwindkomponente auf. Aber das ruhige Steigen gefällt mir eben schon viel besser als das bockige Zeug weiter unten. Also steige ich weiter, ab 4000m sogar wieder mit 1.5m/s. Die Sicht in die Poebene ist atemberaubend.
Bei 4300m muss ich wohl oder übel losfliegen, denn an der Schweizer Landesgrenze muss ich wieder unter 4000m sein – und mit diesen Loggern kann das sehr genau kontrolliert werden. Tatsächlich komme ich dann gegen den Wind nur langsam voran, etwa mit 100km/h bei 160km/h IAS, kann aber bis Biasca über der Basis in ruhiger Luft bleiben und an den Wolkenhängen entlang ab und zu sogar wieder steigen. Nach Biasca geht es mir aber nicht besser als allen anderen und bis zum Mte. Togano (eben der Berg am Ende des Valle Vigezzo) werde ich wieder kräftig durchgeschüttelt.
Gondo sieht überhaupt nicht gut aus. Das heisst, wenn man es sehen könnte, sähe es nicht gut aus. Aber ein dichter Schneevorhang versperrt das Val Divedro vor Gondo. Ich versuche, so hoch wie möglich zu steigen, aber diesmal will es nicht so richtig und auf 3100m verlasse ich die Welle und fliege vorsichtig nach Nordwesten. Gegen den Wind brauche ich einiges an Höhe, im Talknie kann ich unmittelbar vor dem Schneevorhang aber wieder auf 2600m steigen. Langsam taste ich mich in den Schnee vor. Lange kann ich eine tragende Linie halten, und schemenhaft erkenne ich über mir Cumuli und unter mir das Tal. Dann, etwa vier Kilometer vor Gondo ändert sich die Lage dramatisch: in vier Minuten verliere ich 1200 Meter über eine Distanz von 10km! Das dürfte wohl der schlechtest mögliche Gleitwinkel einer LS-8 sein. Nichts wie raus aus diesem Tal! Auf der Innenseite des „Knies“ steht dann dafür die perfekte Überraschung in Form von 3m/s Steigen. Das ist mir zwar ein Rätsel, aber ich frage nicht lange und nehme es dankbar an. Als das Steigen auf 1900m nachlässt, fliegen die beiden Freis nur etwa 300 Meter über mir Richtung Gondo. Na dann, viel Glück.
Nach diesem Erlebnis gehe ich auf sicher und fliege die Luv-Hänge bei Masera an, die promt gutes Steigen und genügend Höhe für einen komfortablen Endanflug bringen. Der ist von dieser Seite her noch speziell, fliegst du doch mit wenigen hundert Metern Höhe von Ascona über den See zum Flugplatz. Die vorsichtig gesparte Höhe bringe ich dann fast nicht weg, und als ich lande – bin ich der einzige der Standardklasse am Platz!
Tagesrang 3 mit 77.6km/h. Rang 1 und 2: Frei/Frei mit 91.2km/h!!!
Gondo sorgte an diesem Abend noch für Gesprächsstoff. Piloten, die mehr als eine halbe Stunde nach mir dort waren, konnten die Wende nicht mehr holen oder mussten gleich anschliessend in Masera landen, so auch Werni Baumann, der damit die Führung verlor.
Fünfter und letzter Wertungstag 22.05., Pfingstsamstag
Aufgabe: Monti di Dito – Antronapiana (15km SW Domodossola) – Mesocco – Varzo (man beachte: 9km vor Gondo) – Kloster Claro – Locarno, 309km
Wer es gemerkt hat und wem der Einstieg gelang, hatte es heute definitiv einfacher als die anderen: Wellen. Oberhalb der wieder recht üppigen Cumuli mit sehr turbulenter Thermik bildeten sich gute Wellen aus mit traumhaft schönen Lenticularis, mehrere Stockwerke hoch.
Auf den Tip von Manfred hin fliege ich zuhinterst ins Maggiatal, wo mir der Einstieg in die Welle gelingt. Mit bis zu 2.5m/s steige ich auf die erlaubte Maximalhöhe von 3950m und kann, immer in der Welle bleibend, die Startlinie überfliegen und den ganzen ersten Schenkel abspulen. Geschwindigkeiten über Grund bis zu 220km/h bescheren mir auf dem ersten Schenkel einen Schnitt von 152km/h! In der Euphorie lasse ich mich aber zu weit nach Süden abtreiben, weshalb ich die letzten 5km zur Wende genau gegen den Wind fliegen muss und deswegen die Welle abwärts verlasse. Nicht so schlimm, denke ich, Manfred hat was von drei Metern am Wendepunkt gesagt. Ich finde allerdings nur Sinken und muss schleunigst auf Kurs verschwinden. Tja, und das war’s dann auch schon, mit den Wellen. In der Hoffnung, im Maggiatal wieder einsteigen zu können, fliege ich in diese Richtung, muss aber bis auf 2300m hinuntergleiten, bevor ich überhaupt einen Schlauch finde.
Wenigstens kann ich dieses Mal auf Kurs bleiben und das Verzascatal über die Krete verlassen und nicht wieder via Tenero. Östlich von Biasca kann ich unter 7/8 Bewölkung nochmals mühsam auf 2700m steigen, fliege ins Calancatal und von dort ziemlich direkt (und knapp) ins Misox. Von Mesocco bis San Vittore tote Hose, keine Sonne mehr. Das hatten wir doch schon mal. Also, mal sehen, ob der rettende Schlauch wieder steht, wie am zweiten Tag. Und tatsächlich, südlich von Roveredo finde ich ihn wieder, nicht so ruhig und nicht so hoch, aber immerhin kann ich wieder auf 1900m steigen. Jetzt bleibe ich auf dieser Talseite und bei Bellinzona geht’s plötzlich wieder problemlos mit 1.6m/s auf 2500m. Weiter geht’s via Monti Di Dito und Cimetta auf die Nordseite des Cenovalli, wo eigentlich schöne Cumuli stehen. Ich stelle aber zu spät fest, dass die da eben nur stehen, und sonst gar nichts.
Bevor ich weiss, was geschieht, bin ich wieder einmal unter der Krete, aber nicht im Centovalli (sowieso nicht so gemütlich dort, wegen der vielen Kabel), sondern ein Tal nördlich davon. Und dieses Tal hat nach Westen keinen Ausgang. Also, es hat schon einen, aber der ist mir mit seinen 2100m zu hoch. Ich bin also gezwungen, gut fünf Kilometer zurückzufliegen, um Aufwind und einen tieferen Übergang ins Valle Vigezzo zu finden. Schliesslich schlüpfe ich über einen solchen und muss nun aber im Lee bis nach Masera fliegen, wo ich auf 1300m ankomme. Um die Ecke und hopp, hinauf! Nichts hinauf! Windstill! Um die nächste Ecke – hoffentlich – ja, endlich der erhoffte Hangwind. Hätte auch gleich kommen können. Meine Nerven! Mit bis zu 2m/s geht’s da flott hinauf. Wende holen, zurück an den gleichen Ort und wieder rauf auf 2400m. Danach stelle ich fest, dass die doofen Wolken auf Kurs immer noch nur so rumstehen, als ob sie keine Thermik nötig hätten. Nichts geht, weder Sonnen- noch Schatten- noch Luv- noch Leeseite. Einzig die Rückseite der Cimetta, die ich auf 1300m erreiche, hat Erbarmen und spickt mich dann dafür gleich mit 2.5m/s auf Endanflughöhe und noch etwas darüber hinaus.
Mit 84km/h werde ich 9. Manfred, der fast bis Mesocco in der Welle bleiben konnte, erfliegt mit 107.2km/h den Tagessieg. Zweiter wird Mark Käppeli mit 92.1km/h!
Fazit
Mit fünf Wertungen in allen Klassen liegt die SM Locarno knapp unter dem Durchschnitt der letzten paar SM’s. Die Distanzen der Tagesaufgaben liegen dagegen deutlich darüber. Es gab keine Mikroaufgaben, bei denen auch noch die meisten aussenlanden. Hätte die SM irgendwo anders in der Schweiz stattgefunden, wären wahrscheinlich nur mit Glück und inklusive Pfingstsonntag drei Wertungen zustande gekommen. Und wenn mein Nuller nicht gewesen… und hätte und wäre und würde…
Insgesamt ein tolles Erlebnis und mit vielen neuen Erfahrungen bereichert, freue ich mich auf die SM 2000 in Bern. Wär chunnt au mit?